Pilatus Frau erfährt etwas und ihr Mann hört ihr nicht zu. Wenn er ihr zugehört hätte, wäre sein Leben anders verlaufen.
Der Legende nach warf man seine Leiche später in den See, der unterhalb des Pilatus liegt und heute ein Moor ist; auf der dem Vierwaldstättersee abgewandten Seite des Berges. Der Bergname soll ich aus einem lateinischen Flurnamen gebildet haben, aber die Legende erzählt etwas anderes. Wegen Pilatus heisst der Pilatus Pilatus. Auch mit der Verhandlung wäre es wohl anders ausgegangen, hätte Pilatus auf seine Frau gehört.
Ich kenne aus meinem Leben Momente, in denen ich nicht hingehört habe. Ich habe nicht auf andere gehört und ich habe vor allem nicht auf mich gehört. Irgendwo in meinem Bauch warnte mich eine Stimme. Ich hörte aus verschiedenen Gründen nicht auf sie; es ist ja auch schwierig, weil ich voller widersprüchlicher Stimmen bin. Kürzlich sagte mir jemand, sie würde gerne mal in meinen Kopf reinsehen. Ich wusste nicht, ob es als Kompliment gedacht gewesen war.
Wenn ich an mein bisheriges Leben denke, kommen wir Schlüsselszenen in den Sinn. Momente, in denen ich Weichen stellte. Selten entschied ich einsam und alleine, meistens hielt ich Rat mit anderen, wenn es um die wirklich wichtigen Fragen ging. Seit ich 17 bin habe ich einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin.
Ich bespreche mich mit meiner Frau.
Aber am Ende muss ich entscheiden. Ich erinnere mich an Stimmen, die mich warnten und ich ging trotzdem. Andere warben für etwas und ich ahnte, dass es ihnen dabei vor allem um sich selbst ging.
Wie die meisten Leben der Menschen, die eine Wahl haben – viele Menschen auf diesem Planeten haben nie eine – kennt auch Meines unzählige verpasste Gelegenheiten. Zum Glück habe ich sie verpasst, muss ich heute sagen. Es kam viel Gutes dabei heraus. Etwas zu bedauern passt nicht so recht in mein Gottesbild. Aber zu wählen ist manchmal ganz schön schwierig.
Vor der gleichen Herausforderung stand Pilatus. Was soll er machen, wenn seine Frau wegen eines Traums kommt?
Zunächst finde ich es schon grossartig, dass die Frau zu ihm kommt. Es spricht für ihre Beziehung, dass sie ihn versucht vor einer Dummheit zu bewahren. Dann aber herrscht Funkstille. Matthäus erzählt nicht, was Pilatus gesagt hat. Er macht einfach weiter. Pilatus trifft die folgenreiche Entscheidung, nicht auf die Warnung zu hören.
Es beschäftigt mich seit längerem, dass viele Menschen sich irgendwann im Leben entscheiden, nicht mehr hinzuhören. Niemand ist Antisemit von Geburt. Er entscheidet sich dazu, Juden zu hassen. Niemand ist fremdenfeindlich aus Geburt. Es ist ein Entscheid. Nichts zu tun, wenn die Atmosphäre sich aufheizt, ist ein Entscheid. Ich nehme nicht das Flugzeug, weil ich ein Opfer der Umstände bin. Es ist ein Entscheid. Wir hätten mehr in der Hand, als wir meinen, weil es einfacher ist so zu tun, als sein man ein Opfer.
Das tut auch Pilatus. Er findet, er sei ein Opfer von den aufsässigen Juden, die ihm auf die Nerven gingen. Dabei war Pilatus ein mächtiger Mann, aber er wollte seine Ruhe haben. Bei anderer Gelegenheit war es ihm vollkommen egal, was die Juden wollten. Er setzte einfach seinen Willen durch und liess Widerstand niederknüppeln.
Weil Pilatus bequem ist, wird Jesus ermordet. Das ist die bittere Lehre aus dieser Geschichte.
Raoul Follereau sagte, das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Darum ist der Traum von Frau Pilatus ein Weckruf. Er sollte uns wachrütteln, damit wir nicht verpassen, wenn Gott spricht. Damit wir nicht unterschätzen, was wir alles tun könnten, wenn wir nicht faul wären oder Angst hätten. Nicht auf Faulheit oder Angst sollten wir hören, sondern auf Gott.
Das hat die Frau des Pilatus begriffen, er aber leider nicht.
Darum bitte ich Euch, dass wir einander helfen. Ich kämpfe jeden Tag gegen die Faulheit und die Angst. Es hilft mir, wenn Leute mir ihre Träume erzählen. Es hilft mir, auf Den zu hören, der die Kraft gibt, das zu tun, was zu tun ist und den Mut, das Leben in Angriff zu nehmen. Diesen Mut braucht es jeden Tag neu.