Wie der brennende Dornbusch sein Licht auf die „Ich bin“-Aussagen Jesu wirft.
Die „Ich-bin“ Worte Jesu sind schon sehr markant. Bereits der Gedanke daran, mich selbst als Fleisch im Hamburger oder Zuckerguss auf der Torte zu bezeichnen, lässt mich fast erröten. Da stellt sich mir die Frage: aus welcher Überzeugung heraus hat sich Jesus als Brot des Lebens oder als guter Hirte bezeichnet? Er wollte ja nicht die Leute dazu bringen, ihn als Präsidenten zu wählen. Mich stört es, wenn diese Wort als Machtanspruch gelesen werden. „Der einzige Weg, die Wahrheit in Person, das bin ich.“ Solch ein egomanes Wahrheits-Monopol passt nicht zum Leben und den Lehren Jesu. Aber was wollte er für eine Botschaft vermitteln? Wie sind diese Aussagen einzuordnen? Mir sind keine ähnliche Behauptungen oder Traditionen bekannt, auf die sich Jesus hier hätte beziehen können, ausser einer zentralen Geschichte der Bibel: Wie Gott in einem brennenden Dornbusch Mose begegnet. (Exodus 3). Dort stellt sich Gott mit den Worten „Ich bin, der ich bin“ vor. Diese Geschichte schwingt daher im Hintergrund unweigerlich mit, wenn Jesus irgendwo „ich bin“ sagt.
Es geht gegen den Sommer zu und die letzten grünen Zweige in der Steppe verdorren. Mose muss mit der Herde in die Berge hoch. Er ist am Tiefpunkt seiner Lebensgeschichte angekommen. Aufgewachsen unter der Obhut der ägyptischen Prinzessin kannte er wohl die Schoggi-Seiten des Lebens. Er identifizierte sich aber mit seinem Volk, das versklavt war. Damit brachte er sich in Ungnade und floh zu den Beduinen. Hier musste er die Arbeit der Rangniedrigsten erledigen: Die Schafe hüten. Nun entdeckt er einen Dornbusch, der brennt. Er hält an und beobachtet dies. Wie er nun diesem Feuer zuschaut, stellt er fest, dass der Busch zwar brennt, aber nicht verkohlt. Nun spricht eine Stimme aus dem Dornbusch zu ihm: „Mose, Mose. Komm nicht näher. Zieh deine Sandalen aus, denn dieser Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden! Dann beginnt Gott mit Mose zu reden.
Für Mose ist das eine Wendepunkt. Plötzlich öffnet sich der Weg zurück nach Ägypten und dann mit dem ganzen Volk weiter in die Freiheit. Diese Geschichte ist aber ebenso spannend in Bezug auf Gott, der sich in dieser Szene selbst vorstellt. Er betritt hier quasi die Bühne und stellt sich vor. Solche Momente finde ich besonders spannend. Wie inszeniert sich Gott? Was sagt das über ihn aus? Als Setting hat Gott ein Dornbusch in der Wüste und ein verlorener Flüchtling gewählt. Der Thronsaal in Ägypten mit Pharao kommt erst später in der Geschichte vor, vergleichsweise unbedeutend. So wie in einer anderen Geschichte die Futterkrippe in einem Stall im Zentrum steht. Das Prätorium mit Pilatus lässt dort auch auf sich warten. Das ist also die Kulisse für den grossen Auftritt Gottes. Er stellt sich selber vor. Mose muss erst wissen, mit wem er es da genau zu tun hat. Wäre es ein Fantasy-Drehbuch würde eine Stichflamme aus dem Busch aufsteigen und eine lodernde Stimme zischen: „Ich bin Isch Mäläch – der Meister des Feuers!“ Der Gott der Bibel baut aber keine Drohkulisse auf. Er spielt sich nicht als Meister auf, sondern stellt sich mit den Worten vor: „Ich bin der Gott deiner Vorfahren, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. (…) Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Schreien über ihre Antreiber habe ich gehört, ich kenne seine Schmerzen. So bin ich herabgestiegen, um es aus der Hand Ägyptens zu erretten und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes und weites Land, in ein Land, wo Milch und Honig fliessen.“ (Exodus 3,6-9)
Gott identifiziert sich mit den Menschen. Die erste Seite, die Gott von sich zeigt, ist sein Mitleid, dass er den Schmerz und die Not anderer wahrnimmt und es ihm nicht egal ist! Das erwähnt er nicht erst, wenn es um das Tagesgeschäft, den Auftrag an Mose, geht. Nein, damit stellt sich Gott vor. Mose fragt Gott darauf nach seinem Namen. Quasi seine Visitenkarte: mit welchem Partner gehe ich da einen Deal ein? Wie kann ich ihn erreichen und wer bürgt dafür? In einer Gesellschaft mit vielen Göttern ist das eine wichtige Frage. Und da taucht eben das „Ich-bin“ auf. Gott antwortet: „‚Ich bin, der ich bin.‘ So sollst du zu den Israeliten sagen: Der ‚Ich bin‘ hat mich zu euch gesandt.“ Und weiter: „So sollst du zu den Israeliten sprechen: Jahwe, der Gott eurer Vorfahren, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer, und so soll man mich anrufen von Generation zu Generation.“ (Exodus 3,15)
Es ist das einzige Mal in der Bibel, dass dieser Namen „Jahwe“ eingeführt wird.
Er wird traditionell nicht ausgesprochen und auch das Schriftbild gleicht eher einem Code. Den Buchstaben an ist er mit der Aussage „Ich bin“ verwandt. Ob das tatsächlich die Herkunft des Gottesnamen ist, oder einfach ein gelungenes Wortspiel das hier gut in Szene gesetzt wird, da sollen die Gelehrten noch weiter diskutieren; mir gefällt’s. Dieses Wortspiel untermalt jedenfalls die Bezeichnung „Ich bin, der ich bin“, auf die sich alles zuspitzt.
Für unsere Ohren mag diese Formulierung befremdlich tönen. Sie klingt philosophisch, wie aus einer intellektuellen Publikation mit dem Untertitel: ‚die transzendente Ontologie des Göttlichen.‘ Es ist auch schwierig sie treffend zu übersetzen, da das Verb „sein“ in unserem Sprachgefühl anderes vermittelt. Im hebräischen bedeutet das etwa: „Ich bin da!“. „Auf mich kannst du zählen“. „Ich bin bei dir“. Je nach Übersetzer wird es auch im Futur wiedergegeben: „Ich werde da sein.“ Das ergänzt sich mit der erste Aussage: Ich bin für Abraham, für Isaak und für Jakob da gewesen. Ich habe sie auf ihrem Abenteuer begleitet. Ich werde auch mit dir sein: das ist mein Name und meine Identität: Das bin ich.
Das können wir als Hoffnung für uns nehmen: Gott wird mit uns sein. Er stellt sich nicht als Gott der Wunder oder als Wächter der Moral vor. Dem Dornbusch lässt er nicht die Stacheln verbrennen und stattdessen frische Feigen wachsen. So warten auch auf unserem Weg noch Stacheln und Gestrüpp. Aber Gott bürgt mit seinem Namen dafür, dass er mit uns ist. Gott wird dabei sein. Er wird auch in Zukunft dieses Ringen um Befreiung unterstützen. Er ist ein Gott der Hoffnung, der Befreiung und der Gerechtigkeit.
Wenn Jesus nun vor dem jüdischen Publikum mit den Worten „Ich bin“ ansetzt, dann poppt im Hinterkopf diese Geschichte auf. Der Gott, der sagt „Ich bin“. Damit bezeugt Jesus, dass er von Gott stammt. Nicht von irgendeinem Gott, sondern von dem Gott, der da ist und da sein wird. Der Gott, der dein Schreien hört, deinen Schmerz kennt und mit uns in die Zukunft geht. Dann ist Jesus ein Weg der Hoffnung, ein Brot, das nährt auf dem Weg, ein guter Hirt, ein Licht, das scheint. Dann ist seine Aussage eine Verheissung, dass er für uns da ist.
Joel Keller