Vorvergangene Woche trafen wir im Calancatal auf der Hochebene Pian di Renten einen Mann an, der von Findling zu Findling eilte, bis er bei einem stehenblieb und dessen Oberfläche fotografierte. Da wir am Stein aus der Distanz nichts Besonderes erkennen konnten, fragten wir ihn, was er da treibe. Er antwortete, dass er ein „Passionato“ sei und im ganzen Tessin alle Steine fotografiert habe, die diese merkwürdigen Zeichen aufwiesen. Alle Hochebenen habe er abgesucht und Hunderte von Fotos zu Hause. Pian di Renten sei eine der letzten Hochebenen, die ihm noch fehle (sie liegt genaugenommen im Gebiet des Kantons Graubünden). Die Zeichen sind sehr alt und niemand kann mehr sagen, was sie bedeuten. Trotzdem sammelte dieser Mensch sie alle fotografisch ein.
Das gab mir zu denken. Wer übermittelte da in grauer Vorzeit anderen eine Botschaft?
Sind es Wegzeichen für Ausserirdische oder sagten Steinzeitmenschen anderen, in welcher Richtung die besten Beeren zu finden sind?
Ich lebe selbst auch in einer Welt, deren Bilder und Sprache nicht mehr viele verstehen. „Gott“ ist für viele kein Begriff mehr, mit dem sie etwas verbinden. Bei „Ostern“ denken sie an Gotthardstau und Schokoladehasen. Wenn die Theologinnen und Theologen um Begriffe streiten, sind sie wie dieser einsame Fotograf, der auf abgelegenen Hochebenen sammelt, was niemanden mehr interessiert. Als Gemeinschaft wollen wir dazu beitragen, dass „Gott“ und „Ostern“ nicht im Archiv verschwinden, sondern für die, die uns über den Weg laufen, lebendig werden.
Heiner Schubert