Ein leerer Kopf und eine unattraktive Avocado

Ich versuche es mir zur guten Gewohnheit zu machen, mir im Alltag regelmässig kurze «Auszeiten» in der Natur zu gönnen – sei es eine Stunde joggen, sei es eine ausgedehnte Wanderung. Oft nehme ich mir dann vor, mir Gedanken zu einem bestimmten Thema oder einer anstehenden Entscheidung zu machen, Gott nach seiner Sicht zu fragen, für eine Situation zu beten.
Alles einmal ruhen lassen
Wieder zuhause frage ich mich rückblickend nicht selten, was ich die ganze Zeit über gedacht habe, während ich durch den Wald gerannt bin oder den Berg erklommen habe. Leicht frustriert stelle ich fest: Da war nichts, kein besonderer Gedanke, kein Gebet, kein Geistesblitz – der Kopf leer. Und so ist auch der Vorwurf an mich selbst nicht weit, warum ich die Zeit nicht besser genutzt habe.
Die kritische Rückfrage meiner geistlichen Begleiterin war da befreiend: Ob ich nicht denke, dass es trotz dieser gefühlten Leere jeweils eine Zeit mit Gott sei. Gerade weil ich den Kopf mal nicht mit 1000 Sachen voll habe, sondern einfach da bin. Alles einmal ruhen zu lassen, sei auch ein Ausdruck von Vertrauen, dass Gott sorgt, und von Demut, dass nicht alles von mir abhängt. Ist dieses Nichts also doch nicht nichts?
Aufhören, um «aufzuhören»
Mittlerweile bin ich tatsächlich überzeugt: Es sind solch vermeintlich «leere» Zeiten, die für einen Christen überlebensnotwendig sind. Wir müssen zwischendurch aufhören, etwas zu tun, uns Gedanken zu machen, zu sorgen und von den Anforderungen des Alltags treiben zu lassen, um «aufzuhören» zu Gott und uns ihm und seiner Liebe auszusetzen.
Ja, mit wie viel Liebe hat doch Gott alles geschaffen und durch die Hingabe seines Sohnes für seine Geschöpfe alles gegeben. Wenn ich mir dessen bewusst bin, schmerzt es mich, dieses Werk Gottes immer wieder zu verletzen – nur, um möglichst bequem von A nach B zu fahren oder möglichst billig durch die Welt zu jetten. Kommt hinzu, dass Velo statt Auto auch der eigenen Gesundheit zuträglich ist und Bahn statt Flugzeug wohltuend entschleunigend wirkt.
Der Mystiker Meister Eckhart soll vor Jahrhunderten gesagt haben: «Wie können wir uns nur je benachteiligt fühlen oder gar betrogen, wenn wir doch schon vor Langem für alles, was wir tun, überreich bezahlt worden sind?» Wir müssen unsere selbstsüchtigen, zu oft auf uns selbst bedachten Herzen immer wieder Gott hinhalten, damit sich diese Botschaft in uns einnisten kann: Wir brauchen keine Angst zu haben, zu kurz zu kommen; wir haben schon alles erhalten. Das Wissen um dieses Geschenk und die daraus folgende Dankbarkeit können und sollen zum Motor werden für unser Denken und Handeln, auch gegenüber Gottes Schöpfung.
Ein geistliches Problem
Aus dieser Perspektive steht am Ursprung der ökologischen Probleme unserer Zeit ein geistliches Problem: dass der Mensch meint, er finde sein Glück in immer noch mehr Konsum, immer noch verrückteren Reisen oder immer noch extravaganteren Lebensstilen. Wir brauchen stattdessen eine Rückbesinnung auf Gott, der ja seinerseits alles andere als geizig mit uns ist, sondern uns schon «überreich bezahlt» hat.
Von den Momenten, in denen mich Gottes Liebe überwältigt, sei es beim Lauschen des Vogelgezwitschers im Wald oder beim Betrachten der Blumen auf dem Weg zum Gipfel, zehre ich im Alltag: Wenn mir das nächste Mal im Supermarkt beim Anblick der Avocados das Wasser im Mund zusammenläuft, kann ich fröhlich daran vorbeigehen, ohne dass ich mich «benachteiligt oder gar betrogen fühle». Noch leichter fällt mir dieser kleine Verzicht, wenn ich mir bewusst mache, dass für den Anbau von Avocados illegal Wälder abgeholzt sowie Unmengen Wasser verbraucht werden und ihr Transport zu uns viel Energie verbraucht. Indem ich mit meinem Konsum – oder Konsumverzicht – einen Beitrag leiste, dass auch andere genug haben, bin ich eine glaubwürdige Zeugin von Gottes Liebe.
Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin «Christus im Brennpunkt» der Vereinigung Freier Missionsgemeinden (VFMG) erschienen.
Daniela Baumann