Im Raum des Segens

Betrachtungen von Beni Schubert

Der Gruss, mit dem der Apostel sich in seinem zweiten Brief von der Gemeinde in Korinth verabschiedet (2. Korinther 13,13), ist eine Segensformel, die zum liturgischen «Grundwerkzeug» gehört:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit Euch.

Das ist aus der Geometriestunde hängengeblieben: Es sind drei Achsen, die einen Raum eröffnen und mir erlauben anzugeben, wo in diesem Raum sich ein Gegenstand befindet. Mit einer Achse bleibt alles linear und eindimensional. Mit zwei Achsen öffnet sich immerhin eine Fläche, doch alles bleibt flach, Licht kann noch keinen Schatten werfen. Erst mit drei Achsen weitet sich der Raum, werden Formen möglich, kann ich mich in verschiedene Richtungen bewegen.

Der apostolische Segen eröffnet einen Raum, der weiter wird im Mass, wie wir ihn ausloten.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus bildet die Längsachse. Sie ist die Linie, auf der ich mich in die Tiefe der Wirklichkeit hineinwagen kann. Ich bleibe nicht an der Fassade kleben, sondern trete ein, mache mich auf den Weg. Wenn ich dabei stolpere, wenn ich ins Stocken oder Zögern gerate, wenn ich mich auf destruktive Umwege begebe: Nichts und niemand wird mich und Jesus auseinanderbringen – am Ende nicht einmal der Tod. Er geht ja sogar durch diese enge Tür mit mir mit. Ich kann deshalb mutig voranschreiten – sogar dann, wenn ich an einem Punkt anlange, von dem aus ich keinen guten Weg mehr erkennen kann. Sogar dann, wenn ich mich in ein Dilemma manövriere – der biblische Begriff dafür wäre «Versuchung» – muss ich nicht gelähmt stecken bleiben, sondern darf mich voran wagen: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Gnade dessen, der über mich und uns das erste und letzte Wort hat, erlaubt es mir.

Die Liebe Gottes ist die Achse, an der ich die Höhe ablesen kann. Die Liebe hebt mich hoch aus dem Staub. Die Liebe lässt mich aufrecht stehen. Im Mass, wie mich die Liebe erfüllt und erleichtert, gewinne ich Überblick. Auf meinem Weg, in meinem Leben mögen mir Erfahrungen zugemutet werden, die ich nicht einordnen kann. Sie kommen mir sinnlos vor und quälen mich mit der Frage, weshalb und wozu ich gerade jetzt da hindurchmuss. Die Liebe Gottes stärkt mein Vertrauen. Es mag sein, dass ich bis ans Ende meines Lebens den Zusammenhang nicht begreife, doch die Liebe hat mich einen Horizont sehen lassen, der weit genug ist. Ich kann mich darauf verlassen, dass Jesus es genau so gemeint hat, als er den Seinen sagte, sie würden ihn dann einmal nichts mehr fragen (Joh 16,23): Am Ende leuchtet alles ein.

Die Gemeinschaft des Heiligen Geistes schliesslich ist die Achse, die in die Weite führt, den Bereich dessen verbreitert, was mir links und rechts möglich ist. Es ist die Kraft aus der Höhe, der himmlische Luftzug, der mir Gemeinschaft mit denen ermöglicht, die ich zunächst nicht verstehe. Das ist eine der wichtigsten Pointen des Pfingstberichts (Apostelgeschichte 2,1-13): Gottes Geist wirkt das Wunder, dass Fremde einander verstehen. Alle, die aus ganz unterschiedlichen Gegenden und Kulturen stammten, verstanden in ihrer Sprache, also in der Sprache ihres Herzens, dass und wie Gott Grosses tut. Der Raum des Segens ist nicht bloss mit denen bevölkert, die sich gleichen, sondern ist Vorgeschmack darauf, dass wir in einer unübersehbaren Menge «aus allen Nationen und Stämmen Völkern und Sprachen» (Offenbarung 7,9) Gottes Gegenwart feiern. Dieser Weite und Vielfalt aussen entspricht, dass unser Herz sich weitet in der Gemeinschaft mit Gottes Geist. Das Herz aus Stein wird elastisch, dehnbar und hat für deutlich mehr Platz, als wir meinten.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch. Jedes Mal, wenn mir dieser Segen zugesprochen wird, weitet sich der Raum. Keine der drei Achsen hat eine Grenze.

 

Beni Schubert

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