Öffne dich!

Impuls von Beni Schubert

Kürzlich stiess ich im Internet auf das sehr berührende Video über eine gehörlose junge Frau, die dank eines so genannten Cochlea-Implantats hören konnte. Obwohl ich mich fragte, ob mich das eigentlich etwas angeht, durfte ich dabei zusehen, wie eine Technikerin das Implantat bei der jungen Frau nach der Operation zum ersten Mal einschaltete und einstellte. Und dann war das erste, was sie zu hören bekam, die Liebeserklärung durch ihren Freund – samt Heiratsantrag. Ich habe mich zurückerinnert an das erste Mal, als ich erlebte, wie eine andere junge Frau in einem Gottesdienst von ihrer Erfahrung mit diesem Implantat berichtete. Sie war sehr dankbar, dass ihr so das Gehör geschenkt worden war. Sie erzählte aber auch sehr eindrücklich, wie sie habe lernen müssen zu hören. Wir sind ja ständig umflossen von einer vielfältigen Geräuschsuppe. Sie habe lange gebraucht, bis sie daraus das, was sie anging, habe herausfischen können. Sie habe lernen müssen, die Stimme ihrer Schwester oder den Klingelton der Haustür herauszufiltern aus all den anderen Geräuschen.

Der Evangelist Markus erzählt von der Heilung eines Mannes (7, 31-37), der taub war und stammelte. Jesus heilte ihn, und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. Wenn Markus solche Geschichten erzählt, tut er es immer mit dem Seitenblick auf alle, namentlich auch die, die mit Jesus mitziehen, die hören, aber nicht begreifen, sehen, aber nicht erkennen. Wundergeschichten sollen die sehnsüchtige Bitte provozieren: «Mach das auch mit mir, Heiland!»

Und tatsächlich haben wir Hörenden ja das Problem, dass es so schwierig ist, aus den Geräuschen und Stimmen, dem Lärm und den Liedern um uns die Stimme Gottes herauszufiltern. Wir hören weder den Zuspruch noch den Anspruch Gottes. Erst wenn Jesus selbst sich bei uns Gehör verschafft, werden wir seine Liebeserklärung hören. Und sie wird uns vor Glück strahlen lassen.

Die Heilung des Gehör- und Sprachlosen beschreibt Markus als einen Prozess:

Er beginnt damit, dass sie – Markus sagt nicht, wer – den Mann zu Jesus bringen.

Jesus legt ihm die Finger in die Ohren: Er führt ihn aus der erzwungenen in eine heilvolle, geschenkte Stille.

Jesus berührt seine Zunge mit seinen Fingern, auf die er gespuckt hat: Er schenkt ihm liebevolle Nähe, wie eine Mutter ihr Kind tröstet, wie Liebende sich küssen.

Jesus sieht nach oben: Im Blick nach oben oder auch nach innen, in die Tiefe, ist das Bekenntnis: «Ich heile nicht von mir aus, sondern rede und wirke in der Liebe und aus der Liebe.» Das ist auch eine Bitte: «Wirke Du, Gott, wenn ich handle und rede – denn sonst bleibt alles leere Formel, nutzloses Theater.»

Und er seufzte und sprach zu ihm: Ephata! Das heisst: Tu dich auf! Von Anfang an war es das Wort, das ins Leben ruft, in Bewegung setzt, es Licht werden lässt. «Ephata!» – ein Seufzer, ein Hauch, ein Befehl: «Tu dich auf! Öffne dich! Geh auf!» Was abgeschlossen war, abgekapselt, unzugänglich und unerreichbar, wird weit, offen, beziehungsfähig. Was werden soll, muss zur Sprache gebracht werden, dann geschieht es: «Es werde Licht!» «Friede sei mit Dir!» «Ich liebe Dich!» «Gott segne und behüte Dich!» oder eben dies alles, zusammengefasst im liebevollen: «Tu Dich auf!»

Und das Wunder geschah – es soll auch bei mir, bei uns geschehen:

 

Sprich wieder und wieder dieses «Ephata!», freundlicher Bruder Jesus,
das uns öffnet für die Liebe.
Dann werden wir auch richtig hinhören, zuhören
und schliesslich reden können,
das sagen, was gesagt sein soll,
und nur das –
damit in allem Du selbst zur Sprache, zu Wort kommst.
Amen.

 

Beni Schubert

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